Neulich geriet ich wieder in eine dieser herrlichen Unterhaltungen, in denen es darum ging, dass ich ja im Grunde inkonsequent sei. Das war es zumindest, was mein Gegenüber mir vermutlich gegen Ende des Gesprächs am liebsten mit einem Post-it auf die Stirn geklebt hätte. Hintergrund des Ganzen war die mir sehr wohl bekannte und sich in meinem Leben immer wiederholende Ernährungs-Handtaschen-Debatte.
Spätestens wenn man mit mir Essen geht, kommt man nicht Drumherum sich nach dem Bestellvorgang nach meinen Essgewohnheiten zu erkundigen. Wenn ich wirklich „Eindruck“ schinden will, dann bestelle ich einfach Pasta. Genauso wie sie auf der Karte steht. Aber das ist die Ausnahme. Denn im Grunde klingen meine Bestellungen meistens irgendwie so: „Gibt es eine vegane Variante zu Gericht XY? Verwenden Sie Zucker in ihrem Dressing? Und gibt es das Ganze auch glutenfrei? Dann nehme DAS, aber ohne DAS, dafür mit DEM. Vielen Dank …“ Das dürften alle Servicekräfte „lieben“ und belustigt mindestens die Hälfte meines Bekanntenkreises. Aber ich stehe dazu. Ich vermeide gerne Zucker, wenn es geht, halte Gluten für nicht allzu gesund und ernähre mich so pflanzlich wie möglich.
Ich selber würde das aber weder als kompliziert, anstrengend oder einschränkend bezeichnen. Ich mache das nicht um schlank zu bleiben oder um im Trend der „Healthy-plant-based-community“ mitzuschwimmen. Sondern hauptsächlich für mein Wohlbefinden. Deshalb würde ich niemals jemanden verurteilen, der es mit seiner Ernährung anders hält oder aus eigenem Antrieb heraus, dieses Thema auf das Tapet bringen. Leben und leben lassen. Das sieht aber leider nicht jeder so. Denn obwohl pflanzliche Ernährung in den letzten Jahren einen regelrechten Aufschwung genoss, gibt es immer noch jene, die nur darauf warten, endlich ihren Senf dazu geben zu können. Die Fleischverfechter, die vermeintlichen Besserwisser, die Milch-Lobbyisten oder auch die „durch und durch perfekten Veganer“. Kurz gesagt: Die, die das Haar in der Suppe suchen und immer wieder finden werden. Denn eine Sache mache ich falsch. Ich hege eine große Leidenschaft für Handtaschen. Und DAS ist, wie ich gelernt habe, ein NO-GO, wenn man sich pflanzlich ernährt.
Die Konversationen starten immer mit denselben Fragen und Argumenten. Ich weiß nicht, ob meine Diskussions-Partner dabei die Hoffnung hegen, mich doch nochmal bekehren zu können oder einfach nur ihr Gewissen beruhigen wollen.
Denn man wird wieder und wieder mit diesen herrlichen Allseits-Klassikern konfrontiert: „Warum sollte Fleisch essen nicht gesund sein? Immerhin hätten Menschen ja schon IMMER Fleisch gegessen. Aber dir fehlen doch sicher einige Nährstoffe, wo du ja nur Beilagen isst. Wir stehen nun mal in der Nahrungskette ganz oben.“
Die Antworten darauf rattere ich mittlerweile im Halbschlaf runter. Ich zähle geduldig auf, dass wir Menschen früher so einiges getan haben, was sich mittlerweile als falsch erweist, gebe zu Bedenken, dass das Fleisch früher ein anderes war und zähle pflanzliche Lebensmittel auf, die durchaus Eisen, Proteine und Kalzium beinhalten.
Aber das war es natürlich noch nicht. Denn jetzt wird es wirklich kritisch: „Wenn du dich vegan ernährst, warum trägst du dann SOLCHE Handtaschen?“
Diese Frage ist der Grund, warum ich das Wort „vegan“ kaum noch ausspreche. Lieber sage ich „pflanzlich“ und tue so, als würde ich das nur meiner Gesundheit zu liebe machen. Denn wer will sich heutzutage noch positionieren? Würde ich behaupten, ich wäre kein Fan von Massentierhaltung – was im Übrigen der Wahrheit entspricht– würde ich als inkonsequente Heuchlerin abgestempelt werden und wer will das schon?
Spieglein, Spieglein an der Wand
Meiner Beobachtung nach, sind es meistens die Menschen, die sich bisher wenig mit derartigen Themen beschäftigt haben, die sich dann vermeintlich besser fühlen, wenn sie jene, die sich die richtigen Gedanken machen, auf ihre Fehler hinweisen können. Die Psychoanalyse verwendet hierfür den Begriff der Projektion. Ein Abwehrmechanismus, bei dem wir unsere eigenen Konflikte im Vorgarten anderer abladen. Denn häufig reagieren wir mit Ablehnung, wenn ein anderer umsetzt, was wir uns nicht zutrauen oder aber gerne hätten. Die Projektion beginnt in dem Moment, in dem wir vergessen, dass wir die Quelle dessen sind, was in unserem Leben passiert. Also schieben wir das ungute Gefühl lieber auf das Verhalten anderer. Und nicht selten bemängeln wir dabei Eigenschaften, die wir selber besitzen, aber eigentlich an uns ablehnen. Es ist doch häufig der Spiegel, in den wir nicht schauen wollen.
Ich weiß, dass auch in meinem Handeln noch Luft nach oben ist. Aber zu denken, man müsse erst gar nicht anfangen, wenn man nicht 100 Prozent konsequent sein kann, wäre für mich die falsche Denkweise. Denn auch die kleinen Schritte zählen. Jeder kann es. So, wie es für jeden mach- und umsetzbar ist. Und das sollte vielmehr gewürdigt, als verurteilt werden. Meiner Meinung nach ist dies nämlich der Grund, warum sich so viele erst gar nicht positionieren.
Denn wer beschließt Plastik in seinem Alltag zu reduzieren, hat gefälligst nicht mit dem Flugzeug in den Urlaub zu fliegen. Vegane Ernährung ist nur beachtlich, wenn man auch sonst nur Leinen-Klamotten trägt und wer sich für nachhaltige Mode einsetzt, sollte Zuhause wirklich keinen Zentimeter Müll produzieren.
Ist ein Unternehmen bestrebt, nachhaltiger und fairer zu agieren, wird dazu geraten, es ja nicht öffentlich zu kommunizieren, sofern nicht alle Facetten der Wertschöpfungskette perfektioniert wurden. Denn anstatt anzuerkennen, dass sich jemand Mühe gibt, wird nach Fehlern gesucht. Viel zu schnell wird einem Greenwashing unterstellt. An die Tatsache, dass ein Unternehmen vielleicht wirklich aus Überzeugung handelt, denkt schon keiner mehr. Es wird bewertet und verurteilt. Und das nicht wenig. Denn ja, sicherlich ist es einfacher, den Fehler im Handeln anderer zu suchen, als sich selbst zu reflektieren.
Am Ende meiner diskussionsgeprägten Frühstücks-Unterhaltung hielt ich mir selbst den Spiegel vor die Nase. Bin ich so tolerant und frei, wie ich es von anderen erwarte? Und ich musste feststellen, ich war es nicht. Zumindest ganz sicher nicht an diesem Morgen. Ich schätze dieser Text ist der lebende Beweis dafür. Denn ich habe soeben fleißig meine Stempel verteilt.
Aber jetzt Schluss damit. Es ist an uns zu entscheiden, wer wir sind, aber nicht, was ein anderer ist oder nicht. Denn nicht alles muss sofort in richtig oder falsch, gut oder schlecht eingeordnet werden. Jeder hat seinen eigenen Wertekompass und was für mich richtig erscheint, muss nicht für Jedermann stimmig sein. Wie gut kennen wir die Hintergründe der Anderen wirklich, dass wir uns das Recht rausnehmen sofort ein Urteil darüber zu bilden?
Behaltet diese Frage im Kopf, denn der nächste Breakfast-Club wird kommen. Und uns gegenseitig verurteilen bringt niemanden weiter.
Kolumne von Pilar Hammerl – Geschäftsführerin Tante Fine
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