Alles hat etwas Gutes, auch ein rüpeliger Teenie-Hund.
Die erste Zeit mit einem Vierbeiner kann sehr aufregend sein. Ich kann nur aus meiner Erfahrung sprechen, aber der kleine Kerl hat mein Leben von einem Tag auf den anderen vollkommen auf den Kopf gestellt. Und wie sich im Nachhinein herausstellte, war das gut so. Aber von Anfang:
Hier ein Fetzen Küchenrolle, da eine kleine Pfütze, schwarze Hundehaare, wohin das Auge reicht, und angeknabberte Möbel, Socken und Schuhe. Zudem eine sehr müde und leicht gestresste Version meiner selbst. Das war das Resümee nach den ersten Wochen mit meinem kleinen Welpen Archie. Ganz mühelos schaffte er es Tag für Tag, meine museumsartige Wohnung in eine absolute Chaos-Bude zu verwandeln. Während ich bemüht war, sein Chaos zu beseitigen, erschuf er stets neue „Kunstwerke“. Vorbei war es mit der Spontanität und Flexibilität, die ich einst so liebte. Denn selbst die kleinsten Unternehmungen, wie etwa der Wocheneinkauf im Biomarkt, wurden plötzlich zu größeren Projekten, die gut durchdacht werden mussten. Vor allem, wenn man – wie ich – so wahnsinnig ist und sich alleine einen Hund zulegt.
Natürlich wusste ich damals in der Theorie über die Bedürfnisse eines Hundes Bescheid. Gewissenhaft wie ich bin, habe ich im Vorfeld einige Welpen- und Hundebücher gelesen und uns direkt zu Beginn in der Hundeschule eingebucht. Kann ja nichts mehr schiefgehen, dachte ich … für genau eine Woche. Denn die Realität sah deutlich anders aus.
Vorstellung vs. Realität
Ich hatte immer diese „filmreifen“ Vorstellungen im Kopf, in denen der Hund mit mir durch den Stadtpark joggt, im Restaurant schlafend auf seiner Decke liegt und selbst im größten Trubel ganz entspannt neben mir her spaziert, während ich in der anderen Hand noch einen Cappuccino halte und mit einer Freundin quatsche. Doch einige dieser beschriebenen Situationen sind selbst nach zwei Jahren als Hundemami immer noch eines: Vorstellungen. Denn wer denkt, mit drei Monaten Hundeschule habe sich die Erziehung erledigt, hat entweder keinen Hund oder aber einen verdammt entspannten – und davon gibt es nach meiner Erfahrung nicht viele, vor allem nicht in der berühmt-berüchtigten Hundepubertät.
Erziehung findet nicht ein- bis zweimal die Woche in der Hundeschule statt, Erziehung passiert im Alltag und benötigt Zeit. Immerhin stellen wir eine Menge Anforderungen an unsere Hunde. Komm, wenn ich dich rufe. Warte, bis ich dich freigebe. Springe keine Leute an. Verhalte dich ruhig, wenn wir unterwegs sind. Pöbel nicht an der Leine. Sei nett zu Artgenossen und so weiter. Die Liste ist endlos.
Natürlich ist das alles auch Ansichtssache, und ich weiß, dass nicht jeder die gleichen Ansprüche an seinen Hund stellt wie ich. Aber mein Ziel ist es, meinen Alltag gemeinsam mit Archie ganz entspannt zu meistern, so dass es uns beiden dabei gut geht. Ich möchte, dass wir gemeinsam Spaß haben und uns gegenseitig vertrauen können. Ich möchte, dass er ein rundum glückliches Hundeleben führt, und dafür braucht es Grenzen. Das musste ich auf die harte Tour lernen, als aus dem kleinen Kerl mit etwa sieben Monaten plötzlich ein Halbstarker wurde.
Das Pubertier
Archies Pubertät traf mich damals ohne Vorwarnung. Aus meinem kleinen Baby wurde plötzlich dieser rüpelige Elefant im Porzellanladen, dessen süßes Köpfchen so voller Hormone war, dass er über Nacht nicht nur seinen Namen vergessen hatte, sondern auch alles, was er jemals gelernt hatte. Vorbei war es mit dem Hinterherdackeln auf Schritt und Tritt. Nein, jetzt wollte er es wirklich wissen. Grenzen wurden ausgetestet, Kommandos wurden gekonnt ignoriert, und ganz plötzlich hatten wir Baustellen, von denen ich vorher noch nie gehört hatte. Archie war in dieser Zeit das Gegenteil von alltagstauglich. Dieser energiegeladene Hund freute sich so sehr über jeden Menschen, jeden Hund, jeden Grashalm und jedes durch die Luft fliegende Blatt, dass er wie ein wildgewordener Dinosaurier in die Leine sprang und dabei bellte, sobald er nicht das bekam, was er wollte. Seine Frustrationstoleranz lag bei minus 100 und ergab gemeinsam mit der fehlenden Impulskontrolle eine ziemlich herausfordernde Kombination. Er sprang aus dem Nichts wildfremde Menschen an, fraß Dinge, die ein Hund definitiv nicht essen sollte, und zog so stark an der Leine, dass ich mehr als einmal mitgeflogen bin.
Mir blieben damals nur zwei Möglichkeiten: völlige Selbstisolation oder intensiv an unseren Themen arbeiten. Und ich habe Letzteres gewählt. Ich wollte ihn besser verstehen und lernen, wie ich mit ihm kommuniziere, damit er auch mich versteht. Dabei habe ich nicht nur einiges über Hunde und deren Erziehung gelernt, sondern auch über mich selbst.
Hundeerziehung ist Persönlichkeitsentwicklung
Hunde reagieren nicht nur auf unsere äußeren Signale, sondern verleihen auch unserer inneren Haltung Ausdruck. Archies Verhalten liefert mir immer wieder Hinweise darauf, was bei mir gerade „schiefläuft“ oder woran ich selbst noch arbeiten kann. So wurde mir oft bewusst, dass ich von ihm Verhaltensweisen verlange, die ich selbst nicht beherrsche. Die Themen Geduld und Rastlosigkeit waren die besten Beispiele. Wir arbeiten immer noch gemeinsam daran. Aber auch in für ihn schwierigen Situationen übertrug sich meine Haltung auf ihn. Ich verlangte von ihm Gelassenheit, war aber selbst aus Angst vor der nächsten Katastrophe oder Blamage total angespannt. Und davon gab es eine Zeit lang reichlich, glaubt mir. Ich musste also im ersten Schritt an meiner eigenen Haltung arbeiten. Und das ist ein Prozess, der wahrscheinlich nie zu Ende geht.
Ich war schon immer eine ziemliche Perfektionistin mit geringer Fehlertoleranz. Den gleichen Anspruch hatte ich leider lange Zeit auch an meinen Hund, bis ich verstand, dass jeder Hund anders ist und gerade die einzelnen Charaktereigenschaften jeden so einzigartig und liebenswert machen. Nicht alles muss perfekt sein und ja, man kann Pleiten, Pech und Pannen durchaus auch mit mehr Humor nehmen. In diesem Punkt bin ich mittlerweile Meister geworden. Ich kann herzhaft über Archies Frechdachs-Momente lachen und schätze seine lustige und aufgeweckte Art sehr. Diese innere Haltung führt dazu, dass es für mich kaum noch Situationen gibt, die mir unangenehm sind oder Stress in mir auslösen. Ich kann Archie die nötige Souveränität und Gelassenheit geben, die er braucht – selbst dann, wenn er sich mal danebenbenimmt.
Ein weiterer sehr wichtiger Punkt, den ich gelernt habe, ist: Hört auf euer Bauchgefühl. Diesen Ratschlag kann man eigentlich auf sein ganzes Leben anwenden. Denn unser Bauchgefühl hat meistens recht. In der Hundeerziehung bedeutet das konkret: Hört auf, euch mit anderen zu vergleichen, und geht euer eigenes Tempo. Wenn sich etwas nicht richtig anfühlt, macht es nicht. Was für andere gilt, muss nicht auch bei euch funktionieren. Ihr kennt euren Hund am besten. Und ja, es gibt wirklich tolle Hundetrainer und Ratgeber, und ich selbst hätte ohne diese wahrscheinlich immer noch einen kleinen Rüpel an meiner Seite, aber am Ende entscheidet ihr, was ihr daraus zieht und was nicht. Jedes Hund-Mensch-Team ist individuell.
Zusammenfassend waren die letzten zweieinhalb Jahre mit Archie eine Achterbahn der Gefühle. Was überwiegt, ist allerdings die Liebe zu diesem kleinen Knirps, der mich so sehr verändert hat. Er hat mich zu einem entspannteren und gelasseneren Menschen gemacht und zeigt mir jeden Tag aufs Neue, wie pure Lebensfreude funktioniert. Danke, Archie, für all das. Du bist mein Seelenhund.
Keine Kommentare